2019 jährte sich die Erstbesteigung der Großen Zinne in den Sextener Dolomiten zum 150. Mal – ein Meilenstein. 1869 kam der Österreicher Paul Grohmann als Tourist nach Sexten um dort seinen Urlaub zu verbringen. Der Anblick der formschönen Zacken eroberte sein Alpinistenherz im Sturm. Eines war klar: Grohmann wollte unbedingt am Gipfel der 2999m hohen Felsformation stehen. Franz Innerkofler, einer der bedeutendsten regionalen Erschließer dieser Zeit und Bergkamerad von Grohmann, hatte bereits einige Erkundungstouren gestartet um die Möglichkeit einer Erstbesteigung auszuloten. Als Bergführer machte es sich Innerkofler bereits damals zur Aufgabe, Gästen die Besteigung der schönen Dolomitengipfel zu ermöglichen.
Zusammen mit Peter Salcher, ebenfalls Bergführer, machten sich die beiden auf zur Besteigung der Großen Zinne. Wo heute der Wanderer oder Kletterer für 30€ gemütlich mit dem Fahrzeug bis knapp unter die Südwände fahren kann, war damals noch unberührte Natur. Der mögliche Gipfelsieg musste sich mit einem langen Zustieg verdient werden. Heute werden dafür kaum mehr als 30 Minuten benötigt. Endlich an der Südwand der Großen Zinne angekommen, benötigte das Trio weniger als 3 Stunden um den höchsten Punkt zu erreichen. Beeindruckend, bedenkt man doch dass die Wegfindung selbst heute, trotz ausgetretener Pfade und polierten Kletterstellen, höchste Aufmerksamkeit erfordert.
Seitdem zogen die Drei Zinnen etliche Wanderer und Kletterer an. Bald war klar, dass der einfachste Weg auf den Gipfel nicht mehr ausreicht: etliche neue Routen wurden erschlossen. Die Nordwände gelten bis heute als einige der schwersten Wände der Alpen. Legendär die Erstbegehung der Direttissima im Winter des Jahres 1963 in 17 (!) Tagen. Doch das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
Im Herbst 2018 und im Frühsommer dieses Jahres, fügte Berg- und Skiführer Christoph Hainz zusammen mit Gerda Schwienbacher der 150-jährigen Geschichte ein weiteres Kapitel hinzu: in perfekter Absicherung überwindet die Führe Grohmann-Hainz den längsten Teil der großen Zinne, den Südostpfeiler. Enttäuschte mich die Tour etwas im unteren Teil, so bietet die Linienführung ab dem Kreuzungspunkt mit dem Normalweg einige lohnende Kletterstellen. Eine detaillierte Beschreibung sowie ein Topo findet sich hier. Wer etwas auf den Seilverlauf achtet, der kommt mit gut 25 langen, anstatt den furchteinflößenden 47 SL aus. Trotzdem wollen die über 1000 Klettermeter erst mal geklettert werden und gerade der untere Teil kann durch das zweimalige Abseilen durchaus etwas zeitraubend sein. Seilschaften sollten wohl 6 bis 9 h einplanen. Der Abstieg erfolgt über den benachbarten Normalweg (2 h).
Am Ende bleibt allerdings die Frage: Wo bleibt das Abenteuer, welches Grohmann und seine Gefährten vor 150 Jahren auf die Große Zinne verschlagen hat? Bohrhaken und einzementierte Normalhaken erlauben den Verzicht jeglicher mobileren Sicherungsmittel. Moderne Absicherung in klassischem Fels. In Anbetracht der Schwierigkeiten und der unzähligen Absicherungsmöglichkeiten unnötig. Die rassigen Kletterstellen einer Gelben Kante oder einer Dülferverschneidung fehlen. So hinterlässt uns die Tour mit einem gemischten Gefühl im Magen. Und doch, vielleicht ist es gerade deswegen eine ideale Tour um die letzten 150 Jahre Alpinismus und Klettersport Revue passieren zu lassen und darüber nachzudenken was sich zum Guten und was sich zum Schlechten verändert hat.