Matterhorn, Eiger, Großglockner. Jedem, ob Bergsteiger oder nicht, sind diese Berge ein Begriff. Was haben alle gemeinsam? Alle sind berühmte Berge der Alpen. An allen wurde bereits früh Geschichte geschrieben. Und alle sind sie kleiner als die Dufourspitze. Wie bitte? Noch nicht gehört? Die Dufourspitze ist die höchte Erhebung im Monte Rosa Stock und ganz nebenbei der höchste Berg der Schweiz und der zweithöchste Berg der Alpen. Ah Monte Rosa - jetzt ist alles klar. Die Dufourspitze war in den Anfängen des Bergsteigens noch unter dem Namen Cima Alta und Gornerhorn bekannt. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jhd wurde sie zu Ehren des Generals und Kartografen Guillaume-Henri Dufour noch zu dessen Lebzeiten umbenannt. Die allererste detaillierte topographische Karte der Schweiz, auch bekannt als Dufourkarte, sowie Festungsbauten, die Dufourbefestigungen, gehen auf seine Kappe. Aber nun genug mit Exkursen in die Vergangenheit - konzentrieren wir uns wieder auf die Gegenwart.
Wer das Ende der Schweiz, zumindest vertikal gesehen, auch von der Schweizer Seite aus erreichen will, braucht vor allem eins: Kondition. Als Ausgangspunkt bietet sich die Monte-Rosa-Hütte (2883 m) an. Hmm höchster Berg der Schweiz, zweithöchster Berg der Alpen, Hütte 2883 m über dem Meer - ja da klingelt was. Zum Gipfel (4634 m) sind netto über 1750 hm zu bewältigen. Dank eines Auf und Ab am Grat sind es wohl noch mehr - aber dazu später.
Wer vorher, so wie ich, noch nie in der Gegend war, der reist am Tag des Hüttenaufstiegs bei schönem Wetter am besten früh am morgen an. In Täsch das Auto parkend und mit dem Zug nach Zermatt fahrend, flasht der Anblick DES Berges. Ja jeder hat schon zigmal Bilder gesehen. Aber wenn man mal "davorsteht" ist es einfach was anderes. Das Matterhorn. Die Form, die Wolke am Kopf, die selten von seinem Berg weicht - zum Greifen nah und doch so fern. Verständlich, dass bereits 1857 trotz mehrfach gescheiterten Versuchen, weiterhin die Erstbesteigung versucht wurde und schließlich 8 Jahre später auch gelang.
Hat man sich am Anblick erst mal sattgesehen, beginnt der Aufstieg mit der Gornergratbahn. Falls wer bisher recht cool geblieben ist, wird spätestens jetzt vom Gegenteil überzeugt. Bei der Fahrt nach oben weiß man nicht so recht ob man links oder rechts rausschauen soll. Überall Berge! Oben angekommen wird man wie Dufour selbst von Schweizer Glockengebimmel empfangen. Zugegebenermaßen, das war wohl Zufall - ein Käse wäre sonst noch nett gewesen! Der Blick schwenkt schnell Richtung Monte Rosa, Liskamm und Breithorn. Einem Tourenteilnehmer soll "Matterhorn du kannst einpacken!" entwichen sein. Dies soll keinesfalls das imposante Hörnli beleidigen, denn vielmehr der atemberaubenden Kulisse Ausdruck verleihen. Nach rückblickend betrachtet 53 Fotos zu viel und einer Frage ob wir denn da "hochwandern" wollen (unser Outfit hat uns wohl verraten), wandern wir auch wirklich los. Glücklicherweise sieht man die Hütte schon - unterhalb am Gegenhang, da wir bis ans Ende der Bahn gefahren sind. Weit kann es wohl nicht sein! Weit gefehlt!
Einige Zeit absteigend und dann eben dahinverlaufend auf schönem Steig gelangen wir an den großen Entscheidungspunkt: neuer oder alter Weg? Wir entscheiden und für den neuen Weg, welcher anfangs großteils über den zerfurchten Gornergletscher führt. Falls wer die Gletscher aus den Ostalpen kennt - die sind im Gegensatz dazu Schneefelder. Das merken wir auch bald mit Blick auf die Uhr. Bewegt sich die Hütte? Wie kann das sein? Wir gehen schon 2 h und sind immer noch nicht näher am Ziel. Die Entfernungseinschätzung leidet immens - dazu sind die uns bekannten Referenzberge ganz einfach eine Dimension kleiner.
Endlich wird die eigenartige Hütte groß und größer. Das Bauwerk erinnert an einen Bergkristall - und das ist die Hütte auch! Zumindest ich hab bis jetzt noch keine bessere Hütte gesehen. Der Wirt ist freundlich und in stoischer schweizer Gemütlichkeit trällert er uns entgegen: Diffur? (ah so spricht man das also aus!) Frühstück zwei Uhr morgens. Zimmernummer 42. Konsumationsnummer 56. Tja so handelt man sich in windeseile eine kurze Nacht ein. Das Essen ist okay, wenn auch nicht zu viel. Zum Glück kann man Nachschlag holen. Durch die spezielle Bauform gibts viel Platz beim Schlafen. Dazu noch Blick zum Matterhorn. Bergsteigerherz was willst du mehr?
Am nächsten "Morgen" genießen wir dann auch das Frühstück. Dieses ist ausgiebig und vielfältig. Gestärkt und bereit wagen wir uns hinaus in die laue Nachtluft. Ein paar Stirnlampen vor uns weisen uns den Weg
Nach wenigen Minuten fällt uns auf, dass die Lichtkegel etwas unorientiert wirken. Na toll, hätten wir uns den Weg bloß am Tag vorher besser angeschaut. Anfängerfehler. Wieder unser eigenen Intuition vertrauend wagen wir uns in eine andere Richtung. Und die anderen gleich hinterher - welches blinde Huhn wohl zuerst war? Ah ein Steinmann! Und noch einer! So kämpfen wir uns im Dunklen nach oben. Nach ungefähr einer Stunde sind wir wieder am richtigen Weg. Ideal war der Start nicht aber es geht bergauf! Am Gletscher angekommen verlieren sich leider die Spuren im hartgefrorenen Schnee. Hier ist der Weg auch nicht so trivial, da doch etliche Spalten den Weg säumen. Diese sehen im Dunklen der Nacht natürlich noch breiter und tiefer aus als sonst. Erst etliche Stunden später werden wir erkennen, dass wir wohl nicht den kürzesten Weg gefunden haben. Aber wir haben den flachen Teil des Gletschers erreicht - und das zählt!
Die ersten Sonnenstrahlen erreichen das Matterhorn! Wunderbar! Nach und nach werden die Berge um uns herum wachgeküsst. Nur wir schlummern noch in der Kälte der Nacht. Auf 3500 m Meereshöhe ist es um diese Uhres- und Jahreszeit trotzdem kalt. Das ist auch das einzig blöde an diesen nordseitigen Gletscheranstiegen. Die Sonnencreme um zwei Uhr morgens hätte ich mir echt sparen können. Beinahe hätte ich die warmen Hosen bereut, nun bin ich froh darüber.
Ah vor uns können wir andere Bergsteiger entdecken. Die sind gar nicht so weit weg! Zwei Stunden später sind wir endlich an dem Punkt. Tja, Entfernungen einschätzen in den Westalpen müssen wir wohl noch lernen. Wir vertreiben uns die Zeit indem wir aufzählen welche Berge wir nun schon mit unserer aktuellen Höhe überboten haben. Großglockner, Ortler, ... da haben wir uns aber mal eine Pause verdient.
Eine große Gletscherspalte im letzten Steilstück vor dem Grat stellt sich noch in den Weg - zum Glück sind wir angeseilt. Am Grat angelangt wird es kälter und der Wind frischt auf - nicht als ob uns sonderlich warm gewesen wäre. Nachdem jeder erdenkliche Fleck rund um uns Sonne bekommen hat, sind endlich auch wir an der Reihe. Mit neuem Mut im Pickel stapfen wir den Grat entlang. Nie schwierig doch immer Konzentration fordernd. Da hinten muss der Gipfel sein!
Oh nein, noch nicht... aber da! Nein, wieder falsch. So geht es einige Zeit weiter. Die Hoffnung schwindend erreichen wir ein Stück Seil. Kurz geprüft geht es daran empor. Das Seil führt in einen etwa 20 bis 30 Meter langen Kamin. Schaut nicht wirklich anspruchsvoll aus, jedoch fordert er uns sehr. Nicht technisch, aber der Atem ist schwer - die Höhe fordert ihren Tribut. Zu unserer freudigen Überraschung sind wir an dessen Aufstieg auch schon am Gipfel! Juhu!
Die vor einer gefühlten Ewigkeit vor uns gelegenen Bergsteiger haben wir am Gipfel eingeholt. Kurz ein paar Worte austauschend finden wir heraus, dass für das Abseilen auf der anderen Seite ein 60 Meter Seil von Nöten ist. Das haben wir leider nicht dabei. Uns wird zwar angeboten die anderen zu begleiten, aber das scheint uns zu zeitintensiv. Zudem konnte man einen Teil dieses Abstieges bereits beim Aufstieg beobachten: Viele Spalten säumen den Weg. Zu späterer Stunde bestimmt keine gute Wahl. Kurze Zeit später flitzt das Seil durch den Abseiler und wir sind allein. Am wenig Platz bietenden Gipfel genießen wir die prächtige Aussicht Richtung Italien, das ja schon immer für seine schönen Strände und Meere bekannt war. Wir sitzen wohl am schönsten von ihnen und vor uns erstreckt sich ein Meer voller Wolken. Absolut beeindruckend!
So leid es uns auch tut, mittlerweile auch ziemlich ausgekühlt, treten wir den Rückzug über den Aufstiegsweg an. Wir kommen flott voran und haben bald den Grat hinter uns gelassen. Da begegnen wir zwei "Trailrunnern" am Weg nach oben. Müssen wohl in Zermatt gestartet sein. Kurze Zeit später werden wir auch schon "überrannt". Auf den Grat haben die beiden wohl verzichtet. Der Schnee ist mittlerweile sehr weich geworden. Kurz vor dem Ende des Gletschers gilt es noch den Spaltenbereich zu überqueren. Dies lässt das Adrenalin nochmal in die Höhe schnellen. Zwar ist das Überqueren im Licht wesentlich einfacher als noch 12 Stunden vorher, jedoch wirken gefrorene Schneebrücken doch etwas zuverlässiger. Wir erreichen glücklicherweise unbeschadet den "festen Boden" und bald darauf auch wieder die Hütte. Auch diesmal wähnt man sich schon mehrmals kurz vor dem Ziel. Aber die Hütte scheint die Beine nicht verloren zu haben. Von der weiten Tour geschafft beschließen wir den weiten Weg zurück zur Bahn am darauffolgenden Tag in Angriff zu nehmen. Glücklicherweise hat der Hüttenwirt noch ein Plätzchen frei für uns. Beim Abendessen in der Sonne auf der Terasse der Hütte bestaunen wir das Matterhorn und sind rundum zufrieden. Lange bleiben wir heute aber nicht mehr auf. Nachdem der letzte Sonnenstrahl verschwunden ist, ziehen auch wir uns in die komfortablen Betten zurück. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber lange bin ich sicher nicht wach gelegen.
Am nächsten Morgen können wir uns den Luxus leisten und zum letztmöglichen Frühstück antanzen: 7 Uhr. Eine Stunde später sind wir am Rückweg. Nach dem neuen Weg beim Zustieg, gönnen wir uns diesmal den alten Weg. Obs an der absolvierten Tour lag, an der erholsamen Nacht, oder am guten Frühstück... egal, der alte Weg ist in meinen Augen noch die Kirsche am Gletscher. Vorbei an zwei malerischen Gletscherseen, einem gigantischen Gletschertor und bunten Felsformationen geht es zurück zur Station. Für den Weg haben wir den ganzen Tag gebraucht. Nicht weil wir so fertig vom vorangegangenen Tag gewesen wären - nein - weil es so schön war! Wir haben die Sonne, die Seen, den Gletscher, die Felsen und die Jausenpausen (ja Plural!) ausführlichst genossen. Was für ein Tag!
Kurz vor der Station überrascht uns auch noch ein Gewitter. Monte Rosa all inclusive! Nur eine kleine Weile ärgern wir uns über unser "Trödeln". Gleich danach werden wir schon wieder mit beeindruckendem Ambiente belohnt. Durch den Regen, die schwarzen Wolken und die wieder durchbrechende Sonne ergeben sich bildgewaltige Szenarien. Doch leider heißt es Abschied nehmen und Einsteigen in den Zug. Kaum losgefahren beobachte ich meine Stöcke wie sie gemütlich an der Stationswand lehnen.
Dem Schaffner die Situation geschildert, dürfen wir gleich nochmal rauffahren. Was für ein Glück! Nicht nur meine Stöcke wiederbekommen, sondern auch nochmal den tollen Ausblick genießen können. Beim zweiten Versuch klappt es besser. Bei der Station Riffelalp steigen wir nochmal aus und schlendern Richtung Berghaus. Ein zumindest zu dieser Zeit unbewohntes Hotel liegt am Weg. Über den Sinn hier oben ein Hotel zu bauen lässt sich wohl streiten. Wir ignorieren die Bauten und saugen die Stimmung auf: Das Matterhorn zum Greifen nah und absolute Stille. Wunderbar!
Schließlich geht es mit der nächsten Bahn zurück nach Zermatt und damit zurück in den Trubel. Mit unserer Ausrüstung fühlen wir uns im Bergsteigerdorf schlechthin etwas deplatziert. Es wirkt surreal: mitten in den Bergen und doch so weit weg von deren Einsamkeit und Einfachheit. Diese erlangen wir im Auto in Täsch wieder. Ganz einfach und einsam im Schlafsack.